Was ist das autonome Nervensystem?
Das autonome, auch vegetative Nervensystem genannt, ist für unser Überleben zuständig. Zur Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichts (Homöostase) wacht es über alle lebensnotwendigen Funktionen des Körpers. Es ist Tag und Nacht aktiv und steuert alle unwillkürlich ablaufenden, automatischen Funktionen wie Herzschlag, Verdauung und Atmung, die Höhe des Blutdrucks oder die Hormonregulation.
Aufbau des vegetatives/autonomen Nervensystems
Das autonome Nervensystem besteht aus zwei Bereichen, dem sympathischen Nervensystem (auch Sympathikus genannt) und dem parasympathischen Nervensystem (Parasympathikus), die in entgegengesetzter Weise auf dich einwirken:
- Das sympathische Nervensystem ist für Aktivität zuständig, er regt den Energieverbrauch an und beschleunigt den Herzschlag, die Atmung und den Blutdruck. Aktivitäten können Stresssituationen aber auch Sport, Arbeiten oder andere Dinge sein, die du tun „willst“.
- Das parasympathische Nervensystem sorgt dagegen für Entspannung und Erholung. Es ist für den Aufbau von Energie zuständig. Dazu verlangsamt es die Herzfrequenz und stimuliert die Drüsen und Muskeln im Verdauungstrakt. Der Parasympathikus ist auch für Schlaf, Regeneration, Reinigungs- und Selbstheilungseffekte im Körper zuständig. Aber auch für den kompletten Shut down, den Totstellreflex.
Das ANS (autonome Nervensystem) prüft in jeder Sekunde mittels Neurozeption, ob du noch in Sicherheit bist, ohne, dass dir das bewusst ist. Nur, wenn die Umgebung als „sicher“ eingestuft wird – immer aus der Sicht des verschalteten Nervensystem, nicht aus Sicht deines Verstandes, kann der Körper in einen entspannten Zustand kommen.
Nur im entspannten Zustand, hast du Zugriff auf Verstandesleistungen und soziale Fähigkeiten. Auch kreative Lösungsfindungen sind ebenfalls nur im entspannten Nervensystem Zustand möglich.
Das ANS ist mit über 500 Mio. Jahre, sehr alt. Es unterscheidet daher nur zwischen „Gefahr“ und „Sicherheit“. Es kennt keine Differenzierung, kann nicht vergleichen oder unterscheiden. Die einzige Aufgabe ist es, dich am Leben zu halten.
Das autonome Nervensystem reagiert blitzschnell. Klar, wenn es um Leben und Tod geht muss es schnell gehen. Das Nervensystem reagiert mit einer Geschwindigkeit von 4 Milliarden Bits pro Sekunde, während der Verstand nur eine Reaktionsgeschwindigkeit von 2000 Bits pro Sekunde erreicht. (Nach Satya Marchand)
Es ist um ein vielfaches mächtiger, als unserer Verstand. Hätte unserer Verstand ein Mitspracherecht, müsste jeder Atemzug erst diskutiert werden. Ein Mathematiker hat ausgerechnet, dass unser Verstand die Größe einer Erbse hat und das autonome Nervensystems die eines Fußballfeldes. (Satya Marchand: Wege in die Freiheit)
Der Verstand kann also nichts ausrichten, wenn das Nervensystem nicht einverstanden ist
Satya Marchand
Die Entwicklung des Nervensystems
„Stell dir Millionen von Nervenbahnen vor, die zu Beginn deines Lebens lose und unverbunden herumliegen und nur darauf warten, dass du etwas erlebst, damit sie sich miteinander verbinden können. Alle Erfahrungen, beginnend mit deiner Empfängnis bis etwa zum 15. Lebensjahr werden mit hoher Präzision in deinem Nervensystem hinterlegt, verschaltet und gespeichert. Dieser Teil des Gedächtnisses wird als implizites Gedächtnis, Körpergedächtnis oder Zellgedächtnis bezeichnet und beeinflusst dein emotionales und psychisches Erleben und Verhalten, ohne das es dir bewusst ist.“ – Satya Marchand
Wenn du ca. 15 Jahre alt bist, sind alle Nervenbahnen miteinander verbunden, diese Vernetzungen bilden dein individuelles Programm, das darüber entscheidet, wie du handelst, denkst und fühlst. Auf dieses Programm wird automatisch immer dann zurückgegriffen, wenn dein Nervensystem eine Situation als gefährlich interpretiert!
Dein Verstand weiß nicht, welche Dinge dein ANS als gefährlich ansieht. Das kann bereits ein „rotes Auto“ sein, weil es dieses mit einem Fahrradunfall aus deiner Kindheit in Verbindung bringt. Das können Worte, Verhaltensweise, Blicke oder Stimmungen von Menschen sein, aber auch eigene Gedanken und Gefühle, die du hast.
Das autonome/vegetative Nervensystem schickt so mächtige Handlungsimpulse, dass dein Verstand keine Chance hat.
Wenn dein ANS das Steuer übernommen hat, dann werden andere Gehirnfunktionen herunter gefahren. Dann bist du nicht mehr in der Lage, bewusst zu handeln, klar zu denken oder sozial in Interaktionen zu treten. (Nach Satya Marchand)
Die Reaktionen des autonomen Nervensystems
Das autonome Nervensystem ist für unser Überleben zuständig, es sortiert alle Reize nach Gefahr und Sicherheit. Stellt das autonome Nervensystem eine „Gefahr“ für das Leben fest, so reagiert es immer gleich: es gerät in den Überlebensmodus. Bei jedem Menschen sind das dieselben Reaktionen. Es sind Reflexe, die du nicht bewusst steuern kannst:
- Kampf- und Fluchtreflex
- Bambireflex: Fawn Response / Unterwerfung
- Freeze bzw. Erstarrung
Im Körper laufen bei gemeldeter Gefahr diverse biochemische Prozesse ab. Bei allen werden die rationalen und sozialen Fähigkeiten herunter gefahren. Lernen ist nicht mehr möglich. Empathie ist nicht mehr möglich. Dieser Zustand ist als kurzer Zustand gedacht, da es für den Körper Hochleistung bedeutet. Wenn es bei einem „kurzen“ Ereignis bleibt, reguliert sich das Nervensystem danach wieder herunter.
Das autonome Nervensystem hat für diese Regulation nach einem Schock einen eigenen Selbstheilungsreflex: das neurogene Zittern.
Dieses Neurogene Zittern entsteht nur dann, wenn die Gefahr vorbei ist. Durch das Zittern wird die Stressenergie aus dem Körpersystem entladen. Du kannst dir das genauso, wie bei einer Gazelle vorstellen, die erfolgreich vor einem Löwe geflohen ist. Diese Gazelle wird danach zittern und die zuvor bereitgestellte Energie aus dem Fluchtreflex herausgeben.
Mehr zum neurogenen Zittern findest du in diesem Artikel.
Oder hier im YouTube Video: https://youtu.be/wU2wh3VHDbo
Wie sich Entwicklungstrauma auf das autonome Nervensystem auswirkt
Trauma kommt aus dem griechischen und bedeutet Wunde. Trauma ist nichts anderes, als sehr großen Stress für uns. Dieser Stress geht soweit, dass wir ihn nicht mehr halten können und in den Überlebensmodus kippen. (Wie oben beschrieben in: die Reaktionen des autonomen Nervensystems)
Es gibt verschiedene Arten von Trauma. Siehe mein Artikel Trauma besser verstehen. Doch eins ist immer gleich, nicht dein Verstand, sondern dein Unterbewusstsein, also dein autonomes Nervensystem entscheiden, was gefährlich ist.
Wie sich Entwicklungs- und Bindungstraumata im Nervensystem verschalten
Kinder und Babys wissen instinktiv, dass sie auf die Zuwendung ihrer Eltern lebensnotwenig angewiesen sind. Ein Anschreien, eine Zurückweisung, ein Ignorieren oder der Wunsch danach, dass Baby/Kind solle „anders“ sein, ist für das Baby/Kind schlichtweg lebensbedrohlich. Klingt zu übertrieben? Ist es aber nicht. Wir können uns das kaum vorstellen, aber das Baby reagiert rein instinktiv.
Traumatische Erlebnisse werden alle im Nervensystem verschaltet und diese beeinflussen selbstredend deine Gefühle, Gedanken und Handlungen.
Versetze dich bitte kurz in die Sichtweise eines Babys. Du hast keinen Verstand, du kennst nichts anderes außer deine Eltern, du weißt instiktiv, dass du ohne deine Eltern verloren bist, ohne ihre Zuwendung, ohne ihre Liebe und Aufmerksamkeit, du weißt instinktiv: werden deine Bedürfnisse nicht erfüllt oder bist du für deine Eltern nicht gut genug, bedeutet das Gefahr und zwar eine Gefahr für dein Leben.
Ohne deine Eltern kannst du nicht wachsen, gedeihen – schlichtweg nicht überleben. Das entscheidet das 500 Mio. Jahre alte Nervensystem und nicht der Verstand.
Alle Situationen, die du erlebst und auch die dazugehörigen Reaktionen werden im Nervensystem verschaltet, mit den zugehörigen Gefühlen und Glaubenssätzen. Die wiederum dein Verhalten beeinflussen.
Trauma sitzt im Körper – weil traumatische Ereignisse im Nervensystem verschaltet werden.
Nach einem Trauma erleben Menschen die Welt mit einem veränderten
Nervensystem, dessen Wahrnehmung von Gefahr und Sicherheit nicht mehr so ist
wie vorher. Der Verstand und das autonome Nervensystem kommunizieren NICHT miteinander. Das ANS ist wesentlich schneller.
Kommt dir das bekannt vor? Du nimmst dir vor, anders zu sein, anders zu denken und zu handeln und verfällst trotzdem immer wieder in deine alten Muster? Dann ist dein ANS am Werk.
Deine Reaktionen und Handlungen können auf dich und andere Menschen vollkommen unsinnig oder unangemessen wirken. Aus Sicht deines Nervensystems sind sie jedoch sinnvoll, denn sie dienen deinem Schutz. Du reagiert dann so, wie es den Strategien aus deiner Prägezeit entspricht. Du wirst also vom verschalteten Nervensystem deiner Kindheit geleitet. (Nach Satya Marchand: Wege in die Freiheit)
Wie reguliere ich das Nervensystem
Regulation, für den jetzigen Moment:
- Bewegung und Sport
- Atmung
- In sich rein spüren / Körper spüren / Körper Bewusstsein
- Meditation
- Ruhe
- Entspannungsübungen
- Atem Übungen
- Tanzen
- Singen
- Vagus Nerv Stimulationen
- Verbindungen und gute Kommunikation
- Neurogenes Zittern
- gute Ernährung
- Annahme und Akzeptanz
Nachhaltige Regulation, die auch alte Stressenergien löst und deine Nervensystem aus dem Überlebensmodus holt:
- Neurogenes Zittern (hier findest du mehr Infos dazu)
- CoRegulation durch andere Menschen und neue Erfahrungen, wenn die Kapazitäten da sind. Kapazitäten schaffst du durch das neurogene Zittern
- Ehrliche, traumasensible Kommunikation durch Mitteilen, von Gefühlen, Gedanken und Körperempfindungen